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Es ist die Zeit „die Steine zu sammeln“. Ich denke viel an das Projekt, wann das geschehen ist, was was ich erlebt habe, an die Menschen, die ich kennengelernt habe, an deren Geschichten und an deren Leben, an ihre Zukunft und natürlich auch an meine eigene.

Dieses Projekt war für mich einmalig. Ich bin so zu sagen nach dem Projekt nicht mehr derselbe Mensch wie vor dem Projekt. Und das sind keine schönen Worte. Es ist die Wahrheit. Es ist meine neue Wahrnehmung. Ich habe am Computer gesessen, habe durch meine Skizzen und Bilder geblättert und über das Summarum dieses Projektes nachgedacht.

Ich habe viel über Menschenkenntnis und ihren Einfluss auf die Kunst gelernt. Ich habe viel Erfahrung in der Frage gesammelt, wie ich mit fremden Menschen aus den anderen Einkommensschichten sprechen kann. Ich hatte es mir leichter vorgestellt als es tatsächlich war. Das schwierigste war, auf die Menschen zu zu gehen, aber als ich mich dann im Gespräch befand, habe ich mich sicherer gefühlt. Das schwierigste war das erste Wort, das ich aussprach. Ich habe es zuerst immer mit einem “Hallo!“ versucht. Aber es kam bei fremden Menschen nicht immer gut an, sie einfach mit „Hallo!“ zu begrüßen. Dann war das Gespräch schon zu Ende. Danach habe ich angefangen, die Leute in einer Situation anzusprechen, ohne „Hallo!“ zu sagen, und dann mitten im Gespräch zu sagen: „und übrigens: Erst mal hallo!“ Das wirkte dann meistens wie ein Eisbrecher. Den Menschen fällt es nicht leicht, Fremde an sich heran an zu lassen, genau wie mir selbst. Das war mein Gefühl. Ich habe auch gedacht, dass sie mir in einem Dialog unter vier Augen viel mehr erzählen würden, als wenn ich sie als Gruppe träfe. Das war meine Erfahrung. Erstaunlich für mich selbst war, dass ich immer ein Thema fand. Und dieses Thema war bei mir immer Kunst, das was ich mache, das was ich vorhabe und das was in all diesen Gesprächsmomenten passierte. Das fanden alle meine Gegenüber sehr interessant. Sie zeigten Interesse und entwickelten das Thema weiter. Diese Weiterentwicklung war immer verbunden mit irgendeiner Situations ihres eigenen Lebens. Wie ich beobachten konnte, taten das fast alle. Dann, mitten im Gespräch, als ich meine Tinte und mein Papier herausnahm, waren sie fasziniert. Manche hatten noch nie so eine Erfahrung gemacht. Genau wie für mich, war es für sie einmalig. Ich hatte zuvor keine Erfahrung damit, Menschen auf der Straße zu befragen und zu zeichnen. Und sie hatten keine Erfahrung damit, gezeichnet oder befragt zu werden. So war es für beide einmalig. 

War ich sicher? Ich glaube nicht. Und das haben sie gemerkt. Manche haben auch auf der menschlichen Ebene geholfen. Sie haben dann weiter geredet, wenn sie gesehen haben, dass ich Schwierigkeiten hatte, oder sie haben ganz direkt gefragt: “Warum schweigst du?”.  “Ich weiß es doch nicht.”, antwortete ich dann.

In manchen Situationen bekam ich richtig Angst und versuchte, die Angst zu verstecken. Es war, wie ich jetzt denke, sichtbar. Wenn ich mir jetzt die Bilder anschaue, dann sehe ich es ganz genau daran, wie sie mich gezeichnet haben. 

Diese Arbeit beinhaltete nicht nur die Arbeite auf der Straße mit den Menschen, sondern auch die Abende bei mir zu Hause an meinem Computer, der ständig mit verschiedenen Notizen zugeheftet war. Diese Notizen änderten sich im Laufe der Zeit. Ich erledigte die Aufgaben, die ich auf ihnen notiert hatte. Manche Aufgaben waren “in progress”. Mit anderen Aufgaben konnte ich nicht anfangen und wartete, bis ich für sie bereit war. Mein Schreibtisch sah richtig voll aus. Er war mit verschiedenen Bildern, Skizzen, Papier und Textentwürfen bedeckt. Und wurde immer voller. Danach, als es auf das Ende des Projektes zuging, konnte ich sehen, dass ich viel gemacht hatte und auch, was ich tatsächlich gemacht hatte. Ich war sehr stolz drauf. Auf diese Erfahrung und diese neue Art, meiner Kunst Gestalt zu geben. Meine grafische Kunst war für mich nach wie vor einmalig, wichtig und unvergesslich. 

Es wurden keine Portraits im klassischen Sinn. Es sind Kombinationen aus verschiedenen „fotografischen Momenten“, die mein Gehirn und meine Sinne wahrnehmen. Die Blicke und Gesichtsausdrücke meiner Gegenüber änderten sich immer wieder. Sie posierten nicht für mich. Das war einerseits schwierig, weil ich immer wieder den Ausgangspunkt finden musste, aber andererseits und im künstlerischen Sinne war es für mich als Grafikerin sehr wichtig, da ich immer neue Emotionen und Nuancen entdecken konnte. Hinzu kamen die Lebensgeschichten. Ich konnte verstehen, warum ihr Blick sich in bestimmten Momenten änderte, warum sie weinten oder lachten. Und das ist das, was ein normaler Künstler in seiner Arbeit nicht hat. Es war auch schwierig, weil ich deutsch nicht als Muttersprache spreche. Das spielte in jedem Gespräch eine Rolle und die Leute wiesen mich darauf hin. Wir konnten auch besprechen, warum ich mit Akzent sprach. Das hat den Gesprächen mehr geholfen als sie behindert. Ich habe viel nachgedacht. Ich habe mich in dieser neuen Situation selbst neu erfunden, bin über meinen eigenen Schatten gesprungen, habe Sachen gemacht, die ich sonst nie mache. Dadurch zählt es zu meinen wichtigsten Lebenserfahrungen. Es ist meins geworden. Niemand kann es mir wegnehmen. Das Projekt begann als Experiment, aber wurde zum wahren Leben.

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